Im Gespräch: Die Pflegepädagogin Nicole Schmid über Herausforderungen und Möglichkeiten Pflegeauszubildende zu halten und für den Beruf zu begeistern.
5. November 2025

Im Gespräch: Die Pflegepädagogin Nicole Schmid über Herausforderungen und Möglichkeiten Pflegeauszubildende zu halten und für den Beruf zu begeistern.
Frau Schmid, würden Sie kurz ein paar Worte zu Ihrem beruflichen Werdegang sagen?
Ich habe 2012 meine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin an der Gesundheitsakademie Weingarten-Ravensburg abgeschlossen. Danach folgten mehrere Berufsjahre in einer Kinderklinik, wobei ich schon damals merkte, dass mir die Begleitung und Anleitung von Auszubildenden viel Freude bereitete. Die Entwicklung der Lernenden vom ersten Praxiseinsatz bis zum Abschluss der Ausbildung zu beobachten, empfand ich als einen besonders spannenden Prozess. Allerdings zeigte sich im Arbeitsalltag, dass die zeitlichen und personellen Rahmenbedingungen eine intensivere individuelle Förderung nur begrenzt zuließen. Und somit entschied ich mich letztlich für ein Pflegepädagogikstudium in München.
Seit Abschluss des Studiums arbeite ich an einer Pflegefachschule. Neben meiner Lehrtätigkeit bin ich als stellvertretende Schulleitung tätig. Zu meinen Aufgaben zählen unter anderem Prüfungsanmeldungen, Unterrichts- und Lehrplanung sowie das Personalmanagement, Verantwortung für ausbildungsbezogene Abläufe und die individuellen Anliegen der Auszubildenden zu koordinieren.
Ausgehend von Ihrer beruflichen Tätigkeit, stehen Sie in engem Kontakt mit vielen Pflegeschülerinnen und -schülern. Wie ist Ihrer Meinung nach aktuell die Stimmung bei den Auszubildenden in Bezug auf Ausbildung und Pflegealltag?
Ich nehme die Stimmung unter den Auszubildenden derzeit als ambivalent wahr. Viele Lernende sind motiviert, offen und interessiert neue Inhalte im Rahmen der Ausbildung zu lernen. Durch die Einführung der generalistischen Pflegeausbildung erhalten sie vielfältige und breit gefächerte Einblicke in unterschiedliche Versorgungsbereiche. Einige nutzen diese Chancen sehr bewusst, um ihr Wissen zu erweitern und das Gelernte in der Praxis umzusetzen. Der direkte Kontakt zu den zu pflegenden Menschen wird als positiv erlebt, insbesondere dann, wenn ausreichend Zeit für Beziehungsgestaltung und Reflexion vorhanden ist.
Gespräche mit Auszubildenden zeigen, dass sich viele bereits in den ersten Wochen des Orientierungseinsatzes mit hohen Anforderungen konfrontiert sehen. Früh wird deutlich, wie zentral ein strukturiertes Zeitmanagement ist und wie unmittelbar die Belastungen des pflegerischen Alltags auch auf Lernende übergehen. Die strukturellen Belastungen des pflegerischen Alltags, z.B. Personalknappheit, die Betreuung multimorbider zu pflegender Menschen sowie Veränderungen im Gesundheitssystem, wirken sich bereits früh auf das Belastungserleben der Lernenden aus. Diese Faktoren führen dazu, dass die Anleitungen von Auszubildenden in den Hintergrund rutschen und der Fokus auf die Kompensation des Stationsalltags gesetzt wird.
Gleichzeitig zeigt sich eine zunehmende Heterogenität in den Klassen, wodurch die individuelle Förderung der Auszubildenden noch stärker in den Fokus rückt. Ein Aspekt, der in der praktischen Umsetzung weiter gestärkt werden sollte.
Insbesondere Auszubildende mit sprachlichen oder lernbezogenen Schwierigkeiten stehen dabei vor besonderen Herausforderungen. Zwar bietet das spiralförmig und vernetzt aufgebaute Curriculum der generalistischen Ausbildung ein höheres fachliches Niveau, jedoch steigt dadurch zugleich die Komplexität der Lernanforderungen.
In der praktischen Ausbildung entstehen häufig Unsicherheiten, wenn nicht klar ist, wer für die Begleitung der Auszubildenden verantwortlich ist. Besonders in neuen Einsatzbereichen fehlt den Lernenden dann eine feste Bezugsperson, an die sie sich wenden können. Eine transparente Zuordnung von Zuständigkeiten schafft hier Sicherheit und unterstützt eine kontinuierliche Lernbegleitung.
Häufig ist die Rede von dem sogenannten „Praxisschock“, also, die Erfahrung vieler Auszubildender, dass Erwartung und Realität in Bezug auf die pflegerische Arbeit weit auseinanderfallen. Bekommen Sie diesbezüglich Rückmeldungen?
Ja, auch dazu bekommen wir von einigen Auszubildenden Rückmeldungen. Häufig betrifft dies Lernende, die vor Ausbildungsbeginn nur sehr kurze oder gar keine praktischen Einblicke sammeln konnten. Jedoch auch von Auszubildenden, die bereits Erfahrungen im Pflegekontext verfügen.Ein „Praxisschock“ in Bezug auf organisatorische Rahmenbedingungen, wie Arbeitszeiten, Wochenend- oder Feiertagsdienste, wird von Auszubildenden nur selten berichtet. Wesentlich belastender sind hingegen Situationen, die bereits im ersten Orientierungseinsatz auftreten und die Auszubildenden emotional stark herausfordern. Dazu zählen insbesondere freiheitsentziehende Maßnahmen, Notfallsituationen, der Umgang mit Sterbenden und Trauernden sowie Erlebnisse von körperlicher oder verbaler Aggression. Besonders herausfordernd wird dies, wenn solche Erfahrungen in den Praxiseinsätzen nicht zeitnah reflektiert oder aufgearbeitet werden. Fehlt eine Nachbesprechung, gestaltet sich eine spätere Auseinandersetzung mit diesen Erlebnissen, sei es nach Tagen, Wochen oder Monaten in der Berufsfachschule, häufig schwierig und gelingt uns auch nur begrenzt.
Was würden sich Ihre Auszubildenden zukünftig von der Pflegeausbildung wünschen? Wo sollten beispielsweise Prioritäten gesetzt werden?
Aus Rückmeldungen unserer Auszubildenden wird deutlich, dass sie sich vor allem eine konstante und qualitativ hochwertige Begleitung während der gesamten Ausbildungszeit wünschen. Gerade im dritten Ausbildungsjahr wird häufig erwartet, dass alltägliche pflegerische Aufgaben routiniert ausgeführt werden. Dennoch ist auch in dieser Phase ein kontinuierliches Überprüfen und Reflektieren, beispielsweise die hygienischen Prinzipien, von großer Bedeutung. Ebenso wichtig sind regelmäßig stattfindende, individuelle und gut strukturierte Praxisanleitungen. Viele kleinere Anleitungssituationen entstehen zwar im alltäglichen Pflegehandeln und das ist auch sinnvoll und notwendig. Dennoch braucht es gezielt eingeplante Anleitungseinheiten, in denen sich Praxisanleitende ausschließlich auf den Lernprozess konzentrieren können. Das erfordert einen bewussten Rollenwechsel. Während dieser Zeit sollten Praxisanleitende nicht Teil des Stationsbetriebs sein, sondern sich vollständig der Lernbegleitung widmen. Dazu zählen auch geplante Gruppenanleitungen, die nicht nur organisatorisch, sondern auch ethisch reflektiert gestaltet werden müssen – etwa hinsichtlich der Frage, welche Tätigkeiten gleichzeitig in einem Patientenzimmer durchgeführt werden können, ohne dass dies für Lernende oder zu Pflegende unangenehme Situationen schafft.
Ein weiterer zentraler Aspekt ist die konsequente Förderung des Theorie-Praxis-Transfers. Häufig äußern Auszubildende weiterhin, dass theoretische Inhalte im Praxisalltag nicht umsetzbar seien. In der Regel handelt es sich dabei jedoch weniger um einen Widerspruch von Theorie und Praxis, sondern um unterschiedliche Wege, die auf denselben Grundlagen aufbauen. Hier bedarf es einer offenen Kommunikation und transparenter Begründung pflegerischer Handlungen, um Zusammenhänge nachvollziehbar zu machen und Lernprozesse zu fördern.
Die Auszubildenden wünschen sich Lernziele, die ihrem jeweiligen Ausbildungsstand entsprechen und erreichbar sind. Gerade in den ersten Monaten, insbesondere im Orientierungseinsatz, sollte der Fokus zunächst auf dem Kennenlernen der Abläufe und dem Erwerb grundlegender pflegerischer Fertigkeiten liegen, wie etwa der Vitalzeichenkontrolle oder der Grundpflege. Emotional und körperlich anspruchsvolle Aufgaben, wie die Begleitung Sterbender, sollten erst dann übernommen werden, wenn die Lernenden über ausreichend Sicherheit und Erfahrung über diese Tätigkeiten verfügen.
Ein weiterer Wunsch betrifft die Möglichkeit zu häufigeren und kurzen Reflexionsgesprächen. Viele Auszubildende berichten, dass längere Abstände zwischen Gesprächen dazu führen, dass Erinnerungen an die Situationen verblassen. Kurze, regelmäßige Reflexionseinheiten, z.B. wöchentlich für wenige Minuten, könnten helfen, Erlebnisse zeitnah zu verarbeiten und den Lernprozess zu vertiefen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass in den Praxiseinsätzen alle beteiligten Berufsgruppen stärker in die Ausbildung einbezogen werden. Wissensvermittlung sollte nicht ausschließlich Aufgabe der Praxisanleitenden sein, sondern von allen Pflegefachkräften und Mitarbeitenden anderer Berufe, etwa aus den therapeutischen Bereichen, gemeinsam getragen werden. Eine gemeinsame Verantwortung für die Ausbildung würde die Lernkultur stärken und die Ausbildungsqualität langfristig sichern.
Wichtig ist auch, dass die Probleme und Belastungen der Auszubildenden ernst genommen und gemeinsam reflektiert werden. Dies schafft die Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und kann zugleich einen positiven Einfluss auf die spätere Entscheidung für den Verbleib im Pflegeberuf haben.
Wenn es in Ihrer Macht läge mit sofortiger Wirkung etwas an der deutschen Pflegeausbildungsstruktur zu ändern, was wäre das?
Vielleicht liegt die Ursache weniger in der Ausbildungsstruktur selbst, sondern vielmehr im übergeordneten System. Ein zentraler Punkt wäre für mich, dass die Pflegeberufe insgesamt stärker aufgewertet werden. Vor einigen Jahren rückte die Pflege zwar verstärkt in den gesellschaftlichen Fokus und erfuhr eine erhöhte Aufmerksamkeit – leider war dies nur von kurzer Dauer.
Das derzeitige System mit dem festgelegten Anteil von zehn Prozent für Praxisanleitungen bietet grundsätzlich einen guten Rahmen, stößt jedoch in der praktischen Umsetzung häufig an seine Grenzen. Praxisanleitende benötigen hierfür mehr Unterstützung, insbesondere durch Zeitressourcen und gezielte Förderung ihrer pädagogischen Kompetenzen. Jeder Unterricht erfordert eine Vorbereitung und Nachbereitung sowie eine methodische Planung, wie Inhalte vermittelt werden sollen. Auch dies ist in guten qualitativen Praxisanleitungen notwendig. Unter den aktuellen Bedingungen ist dies im Praxisalltag jedoch oftmals kaum realisierbar.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Auszubildende nicht im Stellenplan berücksichtigt werden sollten. Sie sind in erster Linie Lernende und nicht als „Ersatzkräfte“ zur Kompensation von personellen Engpässen. Nur wenn diese klare Trennung gewahrt bleibt, können Auszubildende ausreichend Zeit erhalten, um pflegerische Tätigkeiten nicht nur auszuführen, sondern auch zu reflektieren und daraus zu lernen.
Was hat sich Ihrer Meinung nach in den letzten Jahren zum Positiven entwickelt?
Positiv hervorzuheben ist, dass sich durch die gesetzlich verankerte Vorgabe von zehn Prozent Praxisanleitung die Qualität der Ausbildung deutlich verbessert hat. Auch die Einrichtung zentraler Praxisanleitungsstellen trägt wesentlich dazu bei, die Zusammenarbeit zwischen den Pflegeschulen und den unterschiedlichen Einsatzbereichen zu intensivieren und besser zu strukturieren.
Zudem bietet die generalistische Pflegeausbildung den Auszubildenden die Möglichkeit, in Theorie und Praxis verschiedene Versorgungsbereiche kennenzulernen und ein breites pflegerisches Verständnis zu entwickeln. Dadurch können sie ein breites Spektrum an Kompetenzen und Erfahrungen erwerben, was ich als sehr positive Entwicklung wahrnehme. Themen wie Professionalisierung und evidenzbasierte Pflege haben in den letzten Jahren spürbar an Bedeutung gewonnen, wobei hier weiterhin ein deutliches Entwicklungspotenzial besteht.
Die Heterogenität in der Ausbildung bietet die Chance, vielfältige Lernvoraussetzungen gezielt zu nutzen und voneinander zu lernen.
Vielen Dank, Frau Schmid! Ich wünsche Ihnen und Ihren Schülerinnen und Schülern alles Gute und weiterhin nur das Beste für Ihren beruflichen Werdegang.
Autorin / Redakteurin für Pflegefachliteratur
Sarah Micucci
Gesundheits- und Krankenpflegerin Pflegepädagogin (B.A.) Autorin / Redakteurin für Pflegefachliteratur

Sarah Micucci