Das Image der Pflege – Eine neue Chance?
10. Juni 2020
Standing Ovations – weltweit nehmen die Menschen sich Zeit, erheben sich, applaudieren und zollen einer Berufsgruppe Respekt. Einer Berufsgruppe, welche es gewohnt ist aus verschiedenen Gründen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen: Schlechter Personalschüssel, Überforderung, ausbaufähige Bezahlung – nicht erst seit gestern hat die Pflege mit vielen Baustellen zu kämpfen, welche das Image eines angesehen Berufes nur wenig stärken. Von Sarah Micucci
Pflege ist wichtig, lebenswichtig
Natürlich sind wohlwollende Worte bekannt, welche Pflegefachpersonen eine Form von Anerkennung entgegenbringen sollen. So sind Kommentare wie „Toll, dass es solche Menschen gibt.“ oder „Die müssten viel mehr verdienen.“ nicht selten, bringen jedoch auch manchmal einen gewissen Beigeschmack mit sich. Nämlich einen Beigeschmack, welcher indirekt suggeriert: „Toll, dass es solche Menschen gibt – aber ich würde das nie machen. Und meine Kinder erst recht nicht!“ Doch nun scheint die Lage für einen Moment anders. Was für die vielen Beteiligten des größten Berufssektors im deutschen Gesundheitswesen schon immer außer Frage steht, tritt nun an die Öffentlichkeit: Pflege ist nicht nur ein Beruf, den die Gesellschaft nun mal benötigt, Pflege ist wichtig, lebenswichtig. Genaugenommen überlebenswichtig!
Mit der Corona-Pandemie stand die Menschheit binnen kürzester Zeit einem Maß an Herausforderungen gegenüber, welche es so noch nicht gab. Für die globale Wirtschaft eine Katastrophe. Für viele Berufsgruppen eine ungewisse Zeit. Doch genau diese Zeit ist es, in der plötzlich auf der Titelseite aller großer Tageszeitungen Menschen mit Kittel, Haar- und Mundschutz abgebildet sind. Und alle halten sie die gleichen Schilder in der Hand: „Wir bleiben für Euch da. Bleibt ihr für uns Zuhause!“
Das neue Pflegeberufegesetz
Für diese Menschen auf den Titelseiten ist es keine Besonderheit Schutzkleidung zu tragen. Ihr Beruf und die täglich neuen Herausforderungen in ihrem Alltag bringen diese Maßnahmen mit sich – Pflegefachpersonen. Um ihr Ansehen in der Gesellschaft zu steigern, werden schon seit einiger Zeit diverse Maßnahmen unternommen. Nicht zuletzt macht die Pflege in Deutschland durch die Generalistik auf sich aufmerksam. Das neue Pflegeberufegesetz Wird in neuem Tab/Fenster geöffnet brachte seine Für und Wider mit sich, setzt jedoch einen Fokus vor allem darauf, dass der einheitliche Berufsabschluss „Pflegefachfrau/Pflegefachmann“ dazu befähigt, dass die Anforderungen der EU-Richtlinie 2013/55/EG erfüllt wird und somit automatisch eine europäische Anerkennung des Berufsabschlusses gewährleistet ist.
Deutschland muss an die europäische Bildungslandschaft anknüpfen
Deutschland will also den Anschluss, erkennt, dass es an die europäische Bildungslandschaft anknüpfen muss, um gegenwärtigen und zukünftigen Anforderungen an Beruf und Ausbildung gerecht zu werden (vgl. Kühn-Hempe Wird in neuem Tab/Fenster geöffnet). Die Pflege und auch ihr Image soll nach vorne gebracht, der Nachwuchs gefördert und angelockt werden. Die Attraktivität des Pflegeberufes gilt es zu steigern, sowie das Ansehen der Pflege zu verbessern. Fachkräftemangel muss verhindert, bzw. reduziert werden. Wenn jedoch die Rede von einer Attraktivitätssteigerung ist, so gilt es den Ist-Zustand genauer zu beleuchten.
Das Bild der Pflege in Deutschland
Anders ausgedrückt: Welches vorherrschende Image besteht bezüglich der Pflege in Deutschland und kann eine Pandemie Auswirkungen hierauf haben? Obwohl doch nun schon seit längerer Zeit das Bild des Arzt-assistierenden Helfers abgelöst wurde, durch das eines selbstständigen, handlungskompetenten und qualifizierten Berufes, scheint das Fremdbild noch durchaus verbesserungswürdig: Das Institut für Public-Health und Pflegeforschung Wird in neuem Tab/Fenster geöffnet der Universität Bremen veröffentlichte 2013, dass Pflegeberufe weder von Schülern noch von Eltern zu den In-Berufen gezählt werden. Insbesondere die Altenpflege gilt explizit als Out-Beruf. Dem gegenüber scheint es doch sehr verwunderlich, dass gerade besagter Out-Beruf bei Befragungen von Pflegeauszubildenden zu ihrer Berufswahl, als sehr positiv und eine gute Entscheidung beschrieben wird, so eine Verdi-Umfrage 2013.
Das Selbstbild der Pflege gegenüber ihrem Beruf und das Fremdbild der Gesellschaft scheinen also nicht immer stimmig zu sein. Und doch ist es gerade das Fremdbild, welches ein Image stärken oder vernichtend zum Out-Beruf deklarieren kann. Denn das Image eines Berufes kann sehr handlungswirksam sein. Bilder in den Köpfen der Gesellschaft agieren ähnlich einem psychologischen Konstrukt, welches eine Einstellung gegenüber jemandem oder etwas definiert. Verhaltensweisen werden so bestimmt und gesteuert, Rollen in der Gesellschaft zugewiesen und die Attraktivität eines Berufes beeinflusst. Zwar existiert in Deutschland das Image einer fachlich und sozial kompetenten Pflegefachperson.
Die Corona-Pandemie als Chance für einen Wandel des Berufsbilds Pflege?
Wie kann dies jedoch jemals bei Berichterstattungen in den Vordergrund treten, wenn das ständige Hauptaugenmerk auf verbesserungswürdigen Rahmenbedingungen liegt? Warum einen Beruf wählen, welcher ein sehr hohes Maß an fachlichem Wissen und sozialen Kompetenzen fordert, und im Gegenzug physische sowie psychische Belastungen mit sich bringt und auch noch von der Gesellschaft als notwendig, jedoch wenig erstrebenswert beurteilt wird? Vielleicht, weil gerade hier und jetzt ein Wandel geschieht! Während Manager und Unternehmer um ihre Zukunft bangen, tritt ein Beruf hervor und macht sein Ding – so wie er es schon immer getan hat und es auch immer machen wird.
Die Frage bleibt nur, wie? Vielleicht ist es aktuell mehr denn je an der Zeit die Brust ein Stückchen weiter rauszudrücken und mit Stolz zu sagen: Ich bin Pflegefachfrau, ich bin Pflegefachmann! Denn so einschüchternd ein Fremdbild auch sein kann, eines steht fest: Je gefestigter, selbstbewusster und stärker ein Selbstbild ist, desto weniger kann ein Image angegriffen werden. Und, dass die Pflege in Zeiten der Corona-Pandemie mehr denn je ihre Stärken unter Beweis gestellt hat, sollte mittlerweile zu jedem Mitglied der Gesellschaft vorgedrungen sein. Vielleicht ist doch nicht alles so Out in der Pflege...
Autorin
Sarah Micucci
Sie ist ausgebildete Gesundheits- und Krankenpflegerin, sowie Pflegepädagogin (B.A.). Zusätzlich arbeitet sie als Autorin und Textredakteurin für Pflegefachliteratur.